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„Nicht für bares Geld würde ich in Deutschland arbeiten wollen“

 


Dortmund, Duisburg, Schalke – für diese Klubs bestritt Theo Bücker 235 Bundesligapartien zwischen 1969 und 1983. Dem Ruhrgebiet hat er aber den Rücken gekehrt und führt eine Fußball-Akademie im Libanon. Und trotz der Katastrophen, mit denen das Land kämpft – Bücker will nicht mehr weg.

Deutschlandfunk Franziska Amler 


„Go to the line everybody“, erklärt Theo Bücker.

Während der 1,78 Meter große 72-Jährige Anweisungen gibt, wedelt er wild mit den Händen. Durch seine hellen, blonden Haare erkennt man Bücker schon von weitem. Sein Training unter dem libanesischen Nachthimmel beginnt er mit deutscher Pünktlichkeit. Sein Körper wirkt noch immer drahtig. Auf dem Fußballplatz steht Bücker kaum still, ist ständig unterwegs, erklärt, macht vor, gibt Hinweise – so lange, bis die Übungen so ausgeführt werden, wie er es sich vorstellt. Dabei wird er auch mal lauter.

2001 kommt der gebürtige Sauerländer in den Libanon, trainiert zwischenzeitlich sogar das Nationalteam. Dass er mit seinen Nachwuchsspielern jetzt hier in unmittelbarer Nähe zur libanesischen Hauptstadt Beirut wieder auf dem Platz steht, grenzt fast an ein Wunder.

„Es ist alles weggeblasen“

Denn als Anfang August im Hafen 2.750 Tonnen unsachgemäß gelagertes Ammoniumnitrat explodieren, ist Bücker gerade in Deutschland – und sitzt nicht im Büro seiner Fußball-Akademie direkt am Hafen. Noch heute wirkt er spürbar nachdenklich, wenn er darüber spricht:

„Man kann sich nur sehr schwer vorstellen, dass da irgendwann mal ein Haus gewesen ist. Es sieht aus wie am Strand. Es ist nichts eingestürzt oder einfach nur zerstört. Es ist alles weggeblasen. Es ist nichts mehr da. Alles wäre vorbei. Wir alle wären mit tödlicher Sicherheit nicht mit dem Leben davon gekommen.“

Die gigantische Druckwelle lässt Hunderttausende Glasscheiben zerbersten und Häuser einstürzen. Menschen laufen blutüberströmt durch die Straßen. Apokalyptische Szenen, die auch heute noch – rund 4 Monate später – allgegenwärtig sind. Die Explosion hat mehr als 200 Menschen getötet mehr als 6.000 verletzt, 300.000 haben ihr zu Hause verloren.

„Viele sind abgeklärt“

Das Trainingsgelände liegt rund 5 Kilometer Luftlinie vom Hafen entfernt, in einem Vorort von Beirut. Doch auch hier war die Wucht der Detonation zu spüren. Die meisten seiner Schüler haben die Katastrophe aber gut verarbeitet, berichtet Bücker:

„Viele sind abgeklärt was diese Sachen angeht. Viele sind von der Finanzseite gut genug, dass sie alles überstehen. Und die anderen wissen, dass sie nicht viel verloren haben, da sie nichts hatten. Das ist das Problem dabei. Ich kann also vor und nach der Explosion keinen so richtig großen Unterschied feststellen. Der eine oder andere ist ein bisschen in sich gekehrter und ein bisschen nachdenklicher. Und ich denke mal, dass dann hier unser Fußball ‚ne Hilfe ist. Weil, sobald sie hier sind, verschwindet das für ‘ne Weile und dann wird das immer weniger.“

Die Explosion ist nur die jüngste von vielen Katastrophen, die die Libanesen zuletzt erleben mussten. Das Land steht schon seit Monaten vor dem Kollaps: wirtschaftlich, finanziell und auch politisch. Die Landeswährung hat mehr als 80 Prozent ihres Werts verloren. Zehntausende – vor allem junge Libanesen – wollen nur noch weg und haben sich um Visa etwa in Kanada beworben. Theo Bücker will bleiben – trotz des Millionen-Schadens.

„Das Leben ist leichter“

Ob die Versicherung zahlt oder nicht – der 72-Jährige will seine Fußball-Akademie wieder aufbauen. Er fühle sich hier nach wie vor sicher. Der Sauerländer, der mit einer Libanesin verheiratet ist, hat in acht verschiedenen arabischen Ländern gelebt und gearbeitet. Der Libanon, so sagt er, sei aber sein Leben, sein Zuhause:

„Es ist nichts gegen Deutschland zu sagen. Es ist okay. Aber ich persönlich habe hier im Libanon viel, viel mehr Lebensqualität für mich. Hier ist immer das Wetter schön. Wir können im Winter Ski laufen. Wir können den Beach nutzen. Das Leben ist leichter, weil wir auch nicht so verbissen und so verkniffen sind.“

Und auch fußballerisch hätte der Libanon einiges zu bieten, so Bücker. Er spricht von einem unbegrenzten „Talente-Fass“. Die Spieler hätten alle ein bisschen mehr Geschwindigkeit als in Deutschland. Allerdings:

„Soweit ich das jetzt erfahren habe, wird die arabische Welt trotz aller ihrer Talente nur sporadisch mal einen Guten hervorbringen. Weil für sie ist das Leben hier einfach zu lebenswert. Sie leben einfach zu gern.

„Trainiert uns wie die Bundesligaspieler“

Genug Schlaf und die richtige Ernährung sind zum Beispiel Pflicht, um Profi zu werden. Auch Selim könnte es schaffen – wenn der 14-Jährige dranbleibt und sich nicht später von den Mädchen ablenken lässt, wie Bücker sagt. Er weiß, wie man nach oben kommt. Seine Bundesliga-Erfahrung beeindruckt Selim, den jungen Libanesen:

„Er ist ein großartiger Trainer, einer der besten, die ich je hatte. Er trainiert uns wie die Bundesligaspieler.“

Obwohl es Abend ist, herrschen beim Training immer noch frühlingshafte Temperaturen. Genau das Richtige für Bücker – 365 Tage im Jahr kann er hier im Libanon draußen trainieren. Auch wenn täglich der Strom ausfällt – Beirut will er nie wieder verlassen. Bücker schüttelt den Kopf, wenn er sich an seinen letzten Trainer-Job in Deutschland erinnert – vor 20 Jahren beim SV Meppen:

„Wenn ich daran denke, dann muss ich heute noch sagen: Wie bescheuert bist du denn? Dann war Oktober und dann kam Schnee und dann war es kalt. Und morgens auf dem Platz stehen (…) wo 2 Zentimeter Schnee waren und 3 Grad. Und da als Trainer stehst du denn da. (…) Nach 25 Sekunden hast du kalte Füße und stehst da zwei Stunden in dem Mistwetter. Nicht für bares Geld würde ich in Deutschland arbeiten wollen.“



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